(Diskussion ist seit gestern weit fortgeschritten; ich hoffe, ich wiederhole niemanden)
throgh: Ich hatte das zunächst mit der Form eines resignierenden Pragmatismus gesehen und die Hoffnung gehabt, dass sich Trump selbst auch überführt wenn man ihn jetzt lässt. Dabei ist jedoch der Wortlaut "Kooperation mit dem Wertemodell von und hinter Trump" nicht in meinem Gedankengang bislang einbezogen. Allerdings ist es ja auch so, dass wir hierzulande ebenso derlei Probleme haben. Wie sieht es denn dahingehend aus in Amerika? Hast du da vielleicht einige Quellen, von wo man mit einer weitergehenden Recherche starten und sich einlesen kann?
Das kommt drauf an, worüber du genau lesen willst. Trump war buchstäblich
der Kandidat der Verschwörungstheorien, und er wird auch der Präsident der Verschwörungstheorien, denn von keiner ist er bisher abgerückt. Trump wird noch in vier Jahren sagen, er habe nach 9/11 im Fernsehen tausende feiernde Moslems in den USA gesehen. Es ist völlig egal.
Trump hat während des Wahlkampfs gesagt,
er könnte jemanden erschießen und würde keine Wähler verlieren. Ich glaube nicht, dass das so weit von der Wahrheit entfernt ist. Trump kann sich nicht selbst überführen: Das hat er doch längst unzählige, wirklich unzählige Male getan, und gebracht hat es gar nichts.
morolf: die christliche Dominanz ist im Schwinden. Die religiöse Rechte wird da sicherlich noch ein bißchen zucken und Ärger machen, aber ihre besten Tage hat sie hinter sich; ich glaube auch nicht, dass Homosexualität da wirklich wieder geächtet werden wird, dafür ist der gesellschaftliche Fortschritt zu weit.
Das sehe ich soweit ähnlich, mit größeren Einschränkungen. (Nur noch) 70% der US-Bevölkerung bezeichnen sich als Christen (Deutschland: 60%). Das Christentum verliert dort natürlich nicht gegenüber dem Islam an Boden (weniger als 1% der Bevölkerung mit 2010er-Daten), der noch deutlich unter dem Judentum rangiert. Das sind Prozente, bei denen dem gestandenen AfD-Wähler vor Begeisterung das Wasser in der Hose zusammenlaufen würde. Für Trump und die Republikaner dagegen Zeit für Panik (!!ISIS!!) und
einen ziemlichen Haufen Nazischeiße.
Was die Homosexualität angeht, muss ich ein heute viel zu oft gehörtes Mainstream-Klischee aus der Tasche ziehen: "Die USA sind ein tief gespaltenes Land". Das Christentum und die Xenophobie sind in den sogenannten Flyover States zuhause, in denen meine Verwandten leben. Was dort an Wertekanon propagiert wird, lässt hierzulande so manche Kinnlade auf den Boden knallen. Und dort entkommt man auch den Verschwörungstheorien nicht (wie ich gestern herausgefunden habe, ist meine US-Tante, definitiv Demokratin, sogar einer dummdreisten republikanischen Verschwörungstheorie aufgesessen – Hillary habe gesagt, sie würde den zweiten Verfassungszusatz kippen. Hah! Wenn’s doch wenigstens so wäre).
In diesen Staaten ist es mit dem gesellschaftlichen Fortschritt in Sachen Homosexualität nicht weit gekommen, und in diesen Staaten sehen wir auch gerade im Nachgang der Wahl einen ekelhaften Rassismus aufblitzen, den wir hierzulande nur von „besorgten Bürgern“ kennen. Dieser Hass schwappt nun leider auch auf andere Staaten über, auch das kennen wir hier nur zu gut.
Aus der Demographie rührt jedoch auch ein Hoffnungsfunken: Besonders tief sitzt der Hass
bei älteren, weißen, christlichen Männern, die in Mehrheit für Trump gestimmt haben. Die Demokraten hoffen nun schlicht, dass diese Generation schnellstmöglich wegstirbt: Das ist gar keine so unrealistische Vorstellung.
classic-gamer: Wie auch immer, es sind erst ein paar Tage vergangen. Bis es soweit ist wird noch einiges an Zeit vergehen. Dann wird man mehr wissen. Die Tendenz scheint mir aber die zu sein, dass er nicht alles auch nur ansatzweise wie angekündigt umsetzen wird. Nicht unbedingt wegen Äußerungen in den letzten Tagen, sondern einfach weil ich es für unmöglich halte, dass er damit komplett durchkommt.
Wir hierzulande tun gut daran, in aller Ruhe abzuwarten, was denn da (in und aus den USA) kommt und was nicht. WIR können daran ohnehin nichts ändern. Das Mainstream-Motto "wait and see" ist jedoch nichts, womit man am Brandherd selbst beschwichtigen kann oder sollte.
"Wait and see" war das Motto, als ein populistischer Immobilienhai, der im TV in etwa die Rolle eines Dieter Bohlen hierzulande hatte, als einer von vielen republikanischen Kandidaten ums Präsidentenamt ins Rennen ging. Als kompletter Außenseiter. "Wait and see" war das Motto, als er dann tatsächlich Kandidat wurde. "Wait and see" ist jetzt auch Obamas Beschwichtigung an Amerika, sie mögen es doch mit Trump versuchen.
Auch wenn Trump gerade in deutschen Medien oft so dargestellt wird, ist er kein Clown mit gänzlich undurchsetzbaren Ideen. Die Fratze des Rassismus hat die Angewohnheit, sich hinter diesen Clownsgesichtern und -allüren zu verstecken, das wissen wir in Deutschland nur zu gut, und unterschätzen sollte man diese Clowns auch nicht.
Ich bin in puncto Durchsetzbarkeit von Trumps Ideenwelten auf den zwischen den Extremen oszillierenden Input aus den Staaten angewiesen; ich kann in keiner Weise die von mir auf Seite 1 angeführten Pläne mit Machbarkeitswerten versehen. Geht's durch den Kongress, muss es überhaupt durch den Kongress, was sagt der Supreme Court, was sagt der Supreme Court, wenn Trumps SCOTUS dort eingesetzt wurde? Ich gehe davon aus, dass Trump es darauf anlegen wird, die meisten dieser Pläne irgendwie durchzudrücken. Und ich gehe auch davon aus,
dass er sich nicht wenige Gedanken gemacht hat, wie das zu erreichen ist. Und ich möchte an dieser Stelle ganz explizit darauf hinweisen, was dieser Tage allerortens vergessen scheint:
Der Präsident der vereinigten Staaten von Amerika ist der mächtigste Mann der Welt. Ruhe bewahren, schön und gut; "schafft er ja doch alles nicht" wirkt auf mich dagegen wie voreilig beschwichtigendes Wunschdenken.
Fallbeispiel Mauerbau: In den ersten 100 Tagen möchte Trump fast alle relevanten internationalen Handelsabkommen neu verhandeln. Darunter NAFTA, das im Wesentlichen den Handel mit Mexiko regelt. Für die mexikanische Wirtschaft ein ungeheures Druckmittel – und selbstverständlich wird Trump hier den Mauerbau als Pokerchip einbringen. Mexiko besitzt m.E. nicht die finanziellen Mittel, diese Mauer zu bauen. Wohl jedoch einen reichen Fundus so unfassbar miserabel bezahlter Arbeitskräfte, dass man sie eigentlich nur als moderne Sklaven bezeichnen kann (NAALC zum Trotz).
Ich sage: Ja, diese Mauer wird es unter Umständen geben. Trump hat sie versprochen; Trump hat versprochen, Mexiko würde dafür bezahlen. Das halte ich für möglich. Ich kann nicht sagen, wie wahrscheinlich es ist.