TheHexer_pcg: Interessant fände ich die Vorstellung dieses Konstrukt mal weiterzuspinnen.
Wenn jede Firma es so handhaben würde, wie in deinem Beispiel, wäre das Märchen vom ewigen Wachstum dann keines mehr?
Das musst Du Dir nicht mal groß vorstellen, sondern kannst es nachlesen. Schau Dir einen Ernst Abbe an, oder einen Otto Schott. Oder irgendwohin, wo Innovation funktioniert und die breite Mehrzahl der Leute glücklich sind, weil sie Zeit für Familie und Kreativität haben, sowie genug finanzielle Sicherheit haben, diese auch in der Praxis in neue Ideen umzusetzen.
Kein Mensch braucht ewiges Wachstum. Wir brauchen ewige Zufriedenheit.
Wer gierig ist, der will die Bedürfnisse der Kunden nicht befriedigen, sondern Bedürfnisse schaffen und erhalten.
Sagen wir mal so, Softwareunternehmen produzieren zwei Dinge:
- Software und
- Unzufriedenheit.
Um langfristig das gleiche Produkt immer und immer wieder zu steigenden Preisen an die exakt gleichen Kunden verkaufen zu können, kann man nicht das liefern, was der Kunde wirklich braucht. Sondern man kippt mit jeder Iteration eine neue Lage Marketinggeschwurbel, Pseudo-Features und UI-Änderungen über dem Kunden aus, und behauptet, das sei der neueste heiße Scheiß. Wenn Du DAS nicht hast, dann ist Deine Software unsicher, Du lieferst Dich und Deine Familie an Hacker oder schlimmeres aus, Du bist nicht up-to-date, Du kannst nicht mitreden. Sprich: Wenn Du DAS jetzt kaufst, dann bist Du glücklich. Schau doch nur, wie die Leute in der Werbung alle zufrieden lächeln – das könntest Du sein!
Am liebsten nageln sie Dir gleich eine Subscription ans Bein. Dann helfen sie Dir die nächste Iteration automatisch über und bedienen sich selbst an Deinem Portemonnaie. Dann geht es bestenfalls noch darum, Dir Vertragsupgrades, UI-Updates, vermeintliche "Vorteile" oder Vertragsoptionen zusätzlich anzudrehen. "After-Sales" heißt der Begriff dazu.
Und natürlich ist das Wachstum: Aber das ist alles rein virtuell und künstlich generiert. Dahinter steckt keine Substanz, kein Mehrwert, sondern eine sich immer schneller drehende Wegwerfgesellschaft.
Nützt irgendwas von dem Kunden? Nein.
Nichts davon befriedigt tatsächlich ein echtes Bedürfnis. Sondern die Software erzeugt das Bedürfnis überhaupt erst, welches sie mit jedem neuen Update behauptet zu befriedigen, wobei es gefühlt mit jedem Update am Ende eigentlich nur schlimmer wird. Und je schlimmer es ist, umso mehr Geld ist der Kunde bereit, anschließend wieder auf das Problem zu werfen.
Ewiges Wachstum ist das Gegenteil von Zufriedenheit.
Wer glückliche Menschen will, der kann nicht die Mär vom ewigen Wachstum aufrechterhalten. Zumal wir eben auch nur einen Planeten mit hart begrenzten Ressourcen haben. Wir können nicht Produkte in immer kürzeren Abständen konsumieren, sonst muss irgendwann das neue Auto bereits kaputt sein, bevor es den Hof verlassen hat, damit der Konzern weiter "wachsen" kann.
Glückseligkeit und Gewinnmaximierung sind gegenteilige Ziele. Wer viele unnütze Dinge besitzt, ist keineswegs glücklicher. Im Gegenteil: Man muss sich um den ganzen Mist kümmern. Am Ende braucht man Personal, weil man die fünf Hunde nicht mehr Gassi führen, das 400m² Haus nicht mehr putzen, und die Yacht nicht mehr selbst warten kann.
Derjenige, der etwas bekommt, kann es gar nicht mehr wirklich genießen. Gleichzeitig hat (in einer Welt mit endlichen Ressourcen) für alles, was sich dieser Akteur einverleibt, um sich selbst zu bereichern, stets ein anderer genau das weniger, was dieser Akteur sich gerade genommen hat. So verhält sich also niemand, der ein gesunder Kapitalist ist, denn das schadet der Zukunft seiner Kunden und kannibalisiert jene Gesellschaft, von welcher wir alle ein Teil (und abhängig) sind. Es gibt in der Natur nur ein Lebewesen, dass sich so verhält: Der Bandwurm. Frisst, was ihm nicht gehört, scheißt seinem Wirt in den Hof, und kümmert sich nicht, wer dabei das Nachsehen hat.
Der Bandwurm hat hingegen eine Ausrede. Der Bandwurm hat kein menschliches Gehirn.
Nervensaegen: […] Luxus konnte sich der Chef privat nicht leisten […] Ein Einfamilienhaus, ein Auto, Urlaub auf Mallorca, Ende.
TheHexer_pcg: Es wäre für mich schon mehr als Luxus, wenn ich wenigstens eines davon hätte.
Sieht sicherlich jeder anders. Für mich sind das die kleinen Dinge und solche Sachen, die andere als selbstverständlich erachten.
Na ja, so ein bisschen Anreiz halte ich schon nicht für verkehrt, wenn es sich denn im Rahmen bewegt. Ein Dach über dem Kopf, ein paar Räder unterm Hintern und 1-2 Mal im Jahr Pauschalurlaub würde ich nicht als unanständig betrachten. Wenn der Chef statt Aldi-Fleisch ein Bio-Schnitzel vom Bauern isst und dazu statt einer Flasche Sternburg ein Bierchen einer örtlichen Mikrobrauerei trinkt, dann gönne ich ihm seine wohl verdiente Belohnung. Wohl bekomm's! Bei einem ganzen iberischem Wildferkel, wovon die Hälfte dem Hund serviert wird, und einer Maß Champagner hört mein Verständnis hingegen auf.
Wenn ich wissen will, was übertrieben und ungerechtfertigt ist, brauche ich nur auf den Yachthafen bei uns im "Dorf", wo sich eine 500k Euro "Yacht" an die andere reiht. Wohl gemerkt, das ist in der Regel die Zweityacht, denn diese Leute haben allesamt Wassergrundstücke mit einem halben Hektar "Garten" und einem eigenen Bootssteg. Von dort aus begeben sich die Damen zum Tenniscourt und die Herren zum Golfkurs.
Der Rest der Gemeinde dagegen darbet dahin, mit Schlaglöchern von der Größe eines Kinderkopfes und verrottender Infrastruktur. Nicht mal der Strom fließt zuverlässig (außer in ganz bestimmten Straßen). Lediglich jene Maßnahmen, von denen auch die feinen Herren profitieren, werden finanziert – auf Kosten der Gemeinschaft, versteht sich.
So eine Yacht versteht sich selbstredend zusätzlich zum Dritt- oder Viert-KFZ, dem Gaul fürs Kind, und der privaten Cessna. Ich denke da so Richtung Sardinien, wo die umgefallenen Bäume am Straßenrand dort nicht zufällig liegen, sondern "gelandscaped" sind. Das heißt, jemand hat den Baum absichtlich dorthin transportiert und abgelegt. Ich denke an Hotels, bei denen die Gäste nicht etwa einen eignen KFZ-Parkplatz haben, sondern einen Liegeplatz für ihre Yacht und einen Stellplatz für den Helikopter.
Es geht mir nicht einmal darum zu behaupten, dass jemand der Beteiligten so etwas hat. Ich möchte aber anmerken, dass dies die Karotte ist, welche man den Leuten vor die Nase hält, damit sie den dicken Prügel, mit dem sie am Ende geknechtet werden, nicht kommen sehen – oder gar für gerechtfertigt halten.
Wir sollten aufhören, diese Karotte als alternativlose Ausrede zu benutzen, um die echten Defizite nicht angehen zu müssen.