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Heute ist Azeroth viel mehr als nur eine Videospielwelt. Es ist ein lebendiger Ort mit einer mythischen Geschichte, die sich über tausende von Jahren des Konflikts und Heldentums erstreckt. Azeroth ist in Romanen, Kartenspielen, genre-definierenden MMOs und sogar in Filmen zu finden. Doch 1994 war Azeroth nicht annähernd so gewaltig und solide.

Ein typisches Beispiel dafür: Als Bill Roper – der Mann, der später zum Vizepräsidenten von Blizzard North befördert wurde – an seinem ersten Arbeitstag als Ersatzsynchronsprecher für Warcraft: Orcs & Humans erschien, fragte er direkt nach einem Skript.

„Mir wurde gesagt, es gäbe keine Skripts – gar nichts“, erklärte Roper bei unserer Unterhaltung. „Also sind wir einfach da gesessen und ich habe ein paar Dinge niedergeschrieben. Und ich schätze all die Jahre als Dungeon Master in Dungeons & Dragons haben sich bezahlt gemacht, denn ich habe ein Skript verfasst und basierend darauf die Stimmen aufgezeichnet.“

Nachdem er seinen Text eingesprochen hatte, hätte Ropers Mitwirken am Spiel eigentlich zu Ende gehen sollen. „Aber stattdessen habe ich einen Brief verfasst, in dem ich praktisch um einen Job gebettelt habe. Ich habe gesagt, dass ich alles tun würde. Ich kümmere mich um die Mailbox-Verwaltung. Ich wasche Autos. Mir egal – ich will einfach nur hier arbeiten. Und dann haben sie mich eingestellt.“



Entstehungsgeschichte

Aber warum war Roper so verzweifelt, sich dem Team anzuschließen? Nun ja, die Warcraft-Geschichte beginnt mit dem von den Kritikern gefeierten Dune II, das von Westwood Studios entwickelt wurde. Als das Spiel 1992 veröffentlicht wurde, setzte es neue Standards für das Echtzeitstrategie-Genre. Eine geteilte Leidenschaft – und die Frustration, das kein Nachfolger in Sicht war – sorgten dafür, dass ein relativ unbekanntes Studio namens Blizzard mit der Entwicklung eines eigenen Echtzeitstrategiespiels begann.

Obwohl das Team von Blizzard größtenteils aus eingefleischten „Dune II“-Fans bestand, waren sie sich einer Sache sicher, sie wollten keinen Dune-Klon entwickeln. Das Studio verwarf die Scifi-Themen, die damals üblich waren, und tauschte sie gegen eine mittelalterliche Spielwelt ein. Das Team dachte außerdem kurz darüber nach, einen Deal mit Games Workshop abzuschließen und sich die Warhammer-Lizenz zu sichern, entschloss sich schließlich zur Gunsten kreativer Freiheit dagegen (das bedeutete, wir mussten auf Warhammer: Shadow of the Horned Rat warten, um unser Warhammer-Strategie-Bedürfnis zu befriedigen).

Als Bill Roper schließlich mit an Bord war, waren die grundlegenden Gameplay-Mechaniken von Warcraft bereits vorhanden, doch die Geschichte war noch ausbaufähig gelinde gesagt. Roper erinnert sich noch an sein erstes Meeting mit Allen Adham, dem Präsidenten von Blizzard. Er meinte damals: „Wir wissen, dass es in Warcraft Orks geben wird, die gegen Menschen kämpfen. Oh, und der Bösewicht auf Seiten der Orks heißt Schwarzfaust.“ Alles andere war Roper überlassen. „Meine erste Aufgabe war es also, den Grundstein zu legen und die Originalgeschichte des Warcraft-Universums zu schreiben. Das ist doch verrückt, oder?“

Roper fing damit an, die Musik und die Welt des Spiels zu gestalten. Dafür ließ er sich von den Artusfilmen und seinen alten „Dungeons & Dragons“-Kampagnen inspirieren. Eine dieser Kampagnen brachte ihn auf die Idee, dass Orks mehr als hirnlose Bestien sein können. „Es gibt ein tolles Zitat, in dem es darum geht, dass jeder Bösewicht der Held seiner eigenen Geschichte ist“, erklärte er. „Und genau das war die Mentalität für die Orks.“



Es braucht immer zwei

In der Zwischenzeit arbeitete Blizzard an der Implementierung eines Mehrspieler-Modus, der wie eine offensichtliche und notwendige Ergänzung für das Strategiegenre schien. Doch dies gestaltete sich deutlich schwieriger als erwartet. Eine frühe Partie zwischen zwei Entwicklern ließ beide in dem Glauben, dass sie haushoch überlegen waren. „Was normalerweise keine Streitfrage sein sollte“, meinte Roper lachend. „Dadurch wurde uns klar, dass es einen Sync-Fehler im Code gab, der dafür sorgte, dass ihre Spiele entkoppelt wurden. Das heißt, dass sie praktisch nur Einzespieler-Spiele spielten und dachten, sie würden noch gegen den jeweils anderen spielen, da die KI übernommen hatte.“

Trotz der Bugs war das der Moment, an dem das Team wusste, dass sie an etwas Besonderem arbeiteten. „Es ist dieser Moment, wenn man merkt, dass man an etwas dran ist,“ sagte Roper. „Und ich glaube, in dem Moment wussten wir, dass wir mit dem Mehrspieler-Modus an etwas dran waren. Und dass wir mit dem Spiel an etwas dran waren.“

Aber wie sich herausstellte, waren die Bugs derart schwierig zu beheben, dass es anfangs so aussah, als müsste das Spiel komplett ohne Mehrspieler-Modus veröffentlicht werden. Doch das Durchhaltevermögen des Teams machte sich bezahlt. Sie arbeiteten hart, um die Fehler zu beheben und den Mehrspieler-Modus via LAN oder Modem zu ermöglichen. Und dadurch konnte sich Warcraft von der Konkurrenz abheben.



Zahlenspiel

Warcraft: Orcs & Humans wurde im Dezember 1994 veröffentlicht, doch erstaunlicherweise war dem Team erst nicht bewusst, was sie da eigentlich erschaffen hatten. Die Erstveröffentlichung des Spiels wurde auf 100 000 Einheiten erhöht. Roper und seine Kollegen waren erstaunt: „Wir dachten alle nur, wir sollen wir das alles verkaufen? Das war eine unglaubliche Menge.“ Dieser erste Erfolg ebnete den Weg für Warcraft II: Tides of Darkness, das sich bereits innerhalb des ersten Jahres nach Veröffentlichung unglaubliche 1 Million Mal verkaufte.

Natürlich war Warcraft nicht das einzige Echtzeitstrategiespiel, das in den 90ern erschien. 1995 veröffentlichte Westwood Studios „Command & Conquer“ und auch Titel wie Total Annihilation (1997) sowie Age of Empire (1997) gelten noch heute als Klassiker der Echzeitstrategie, die das Genre massiv beeinflusst haben. Roper meinte dazu: „Ich glaube, dass das Genre so stark gewachsen ist, weil wir uns gegenseitig gepusht haben.“

Aber das Warcraft-Vermächtnis ist wohl das bekannteste von allen. „Den Einfluss, den dieses Franchise hat – und ich weiß es klingt vielleicht merkwürdig – ist beinahe unermesslich“, meinte Roper. Ohne den Erfolg von Warcraft: Orcs & Humans gäbe es kein StarCraft, World of Warcraft, Hearthstone oder Overwatch. Vermutlich wären auch Dota II oder League of Legends nie entwickelt worden, wenn man bedenkt, dass Dota ursprünglich als Warcraft III-Mod angefangen hatte.
„Letzten Endes,“ meinte Roper nachdenklich, „entwickeln wir einfach nur Spiele, nicht wahr? Wir erschaffen etwas und hoffen, dass es den Spielern Spaß macht. Und wenn man einen derart bleibenden Eindruck hinterlässt, ist es das eine sehr demütige Erfahrung und es ist ein wenig ... Ich bin einfach nur froh, dass die Spieler es lieben.“
Schöner Bericht :)